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Die Chancen von SPUR.lab für Ravensbrück

Historischen Orten, insbesondere KZ-Gedenkstätten, wird weithin Authentizität zugeschrieben. Doch was bedeutet der Begriff "authentisch" an Orten, die im Laufe der Geschichte immer wieder Veränderungen unterworfen waren?
Und welche Chancen bieten neue digitale Medien für die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, mehrfach nachlagerzeitlich genutzt und überbaut, Authentizität ein Stück weit wiederherzustellen? Und wie kann man Besuchenden mit Hilfe von Augmented Storytelling an einem Tat- und Verbrechensort wie Ravensbrück Authentizität zurückgeben?

In der erinnerungskulturellen Landschaft gibt es eine intensive Debatte darüber, was den besonderen Wert der Auseinandersetzung mit Geschichte „vor Ort“ – bezogen auf eine KZ-Gedenkstätte – am historischen Ort, oder präziser: an einem historischen Tatort – ausmacht. Im vergangenen Jahr ist ein Band unter dem Titel „Authentizität als Kapital historischer Orte? Die Sehnsucht nach dem unmittelbaren Erleben von Geschichte“ (herausgegeben von Axel Drecoll, Thomas Schaarschmidt und Irmgard Zündorf, Göttingen 2019) erschienen, der diese Diskussion bündelt, die Gedenkstättenmitarbeiter*innen und andere Wissenschaftler*innen gleichermaßen beschäftigt. Eine Erwartung an die Gedenkstätten, die mit dem Wort „Stätte“ den Ort ja gleichsam programmatisch im Namen tragen, ist, dass dort die Geschichte des historischen Ortes aus den überkommenen Spuren der Geschichte „erfahren“ und gedeutet wird. Manche sprechen vom „authentischen Ort“ oder der „Aura des Ortes“. 

Tatsächlich sind Gedenkstätten aber immer wieder überformte Orte. Weite Teile des ehemaligen Lagergeländes des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück wurden von der Roten Armee nach der Befreiung des Lagers sukzessive in eine Kaserne umgewandelt. Zu sehen sind dort noch die lagerzeitlichen Gebäude, die von der sowjetischen Armee bis in die 1990er Jahre nachgenutzt wurden, wie die Häuser der einstigen SS-Siedlung, die ehemalige Kommandantur, der dahinter liegende Garagentrakt und die Werkshallen, in denen Ravensbrücker Häftlinge Zwangsarbeit leisten mussten. Es fehlen jedoch die für das einstige Lager sehr bedeutenden Baracken, in denen die Häftlinge untergebracht waren, und die nach der Befreiung abgetragen wurden, um andernorts als Behelfsheime für Vertriebene und Geflüchtete zu dienen.

 

 

Mit Infostelen, auf denen historische Fotos aus dem SS-Fotoalbum zu finden sind, und mit Vertiefungen im gestalteten Boden, die die einstigen Standorte der Baracken nachzeichnen, versuchen wir für Einzelbesucher*innen, die nicht in einer Führung durchs Gelände begleitet werden, eine Anschaulichkeit herzustellen, die hilft, die Strukturen des einstigen Lagers nachvollziehbarer zu machen. Ein Audioguide, der 2014 entstanden ist, als an Augmented Reality noch kaum zu denken war, erschließt bereits jetzt einen Teil der Fehlstellen.

Das Projekt SPUR.lab bietet nun eine neue Chance: in der Verbindung von Augmented Reality und Storytelling können etwa fehlende Gebäude wie die Baracken temporär und virtuell in das Gelände gesetzt und erzählerisch eingeordnet werden.

Eine Herausforderung dabei wird sein, das Gelände nun nicht neuerlich virtuell und visuell zu überformen, sondern Wege zu suchen, aus dem Vorgefundenen heraus die Geschichte zu erzählen. Die noch zündende Faszination eines noch neuen Mediums sollte den historischen Ort nicht an den Rand drängen und das Dingliche, Vorfindbare nicht depotentialisieren, sondern zu erschließen helfen.

 

Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

Der Umgang mit einem Tat- und Verbrechensort wie Ravensbrück, an dem von Menschen willkürlich ausgeübte Gewalt den Lageralltag der Häftlinge bestimmte, bedarf einer besonderen Sensibilität. Überlebende beschreiben die Momente existentieller Not und Pein, die wortwörtliche Überwältigung, der sie – oft über Jahre – ausgesetzt waren. Tausende haben den Ort nicht lebend verlassen.

Die Gedenkstätten sind bemüht, ihren Besucher*innen einen Zugang zu dieser Geschichte zu ermöglichen, ohne sie mit dem Überwältigenden zu überwältigen. Die Möglichkeit, mit einem eigenen Gerät (wie einem Smartphone), mit dessen Handhabung die Nutzer*innen vertraut sind, sich das Gelände weiter anschaulich zu erschließen, erschließt ein neues Angebot im medialen Repertoire der Gedenkstätten.

 

Gut, dass SPUR.lab die Expertise von Gedenkstätten, Museen und angewandten Medienwissenschaften zusammenbringt, um nach einer jeweils angemessenen Form der Auseinandersetzung mit Geschichte für die drei beteiligten Orte zu suchen.     

Ich freue mich am Anfang dieses gemeinsamen Projektes auf einen intensiven interdisziplinären Austausch darüber, was technisch geht und was inhaltlich gebraucht wird, um neue Zugänge zur Geschichte zu entwickeln. Und ich bin gespannt auf die Ergebnisse dieser Arbeit.  

Dr. Matthias Heyl leitet die Pädagogischen Dienste in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. 

In Ravensbrück bei Fürstenberg ließ die SS 1939 das größte deutsche Frauenkonzentrationslager errichten. 1941 wurde ein Männerlager, 1942 das Jugenschutzlager Uckermark angegliedert. Nach der Befreiung nutzte die sowjetische Armee weite Teile des ehemaligen Konzentrationslagers als Kaserne. 1959 wurde die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück als eine der drei KZ-Gedenkstätten der DDR eröffnet. Seit 1993 ist die Gedenkstätte Teil der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten.

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