DEEN

IMMERSION und REFLEXION - ein Workshop der Möglichkeiten

„Wie können wir unter den sich verändernden Bedingungen von Digitalisierung Geschichtslandschaft gemeinsam beschreiben? Wie können wir mit der Zeit des Nationalsozialismus umgehen?“ Diese Fragen standen zu Beginn des vom SPUR.lab organisierten Workshops „Immersion und Reflexion“ – und sie sollten nicht die einzigen großen Fragen des Tages bleiben. Denn Wissen mit immer wieder neuen Medien zu vermitteln, eröffnet viele Möglichkeiten und fordert eine Menge Kreativität.

Ergebnisse der Veranstaltung als Grafikrecording

© Veronika Golyak

 

© Veronika Golyak

Zoom-Konferenzen können wirklich zäh und lang und ermüdend werden. Anders, wenn sich rund 70 Spezialist*innen für Extended Reality, Digitales Design und die Vermittlung von Wissen aus Museen, Gedenkstätten und Hochschulen treffen. Dann sitzen die Gesprächsteilnehmer*innen beim Vortrag auf einmal im digitalen Vorführ-Raum mit Fenstern, vor denen es schneit, die Arbeit in Kleingruppen wird in kurzen Comic-Strips zusammengefasst und die Mittagspause trifft sich auf der digitalen Dachterrasse. Eingeladen in diese virtuellen Welten hatte das SPUR.lab die hoch besetzte Expert*innen Runde, um neue Ideen für die noch kommende Arbeit zu sammeln und auszutauschen.

Projektionen, Erinnerungsräume und digitale Archive

Nicht langweilig ist den Teilnehmer*innen von „Immersion und Reflexion“ dann auch dank anspruchsvollem Gedankensport geworden. Zu Beginn hat Dr. Sabine Moller von den Arolsen Archives gezeigt, was bereits möglich ist: Dreidimensionale Projektionen von Überlebenden des Holocaust, die sich „live“ befragen lassen, begehbare Erinnerungsräume durch 360° -Aufnahmen und das Großprojekt des Archivs „Jeder Name zählt“ stellt sie vor.

memory on demand von Sabine Moller
Keynote Sabine Moller

Die Arolsen Archives sind das weltweit größte Archiv für Informationen zu Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Insgesamt finden sich dort Informationen zu 17,5 Millionen Menschen. Im Projekt „Jeder Name zählt“ kann jede Person von zu Hause aus Transportlisten abtippen und damit online zugänglich machen - ohne jegliche Qualifikation.  Ob sich hier ein erstes Problem auftut? Wie umgehen, mit den Daten von bereits Verstorbenen? Wiegen die Persönlichkeitsrechte schwerer oder die Möglichkeit, das Wissen möglichst vielen Menschen zur Verfügung zu stellen?
 

Die sogenannten „Grenzen“ des Digitalen

Dr. Sabine Moller stellt dazu diese These in den Raum: Die sogenannten „Grenzen“ des Digitalen seien oft schon länger als Probleme vorhanden, sie hätten nur bisher keine Beachtung gefunden. So wird später auch die Frage aufkommen, ob die Digitalisierung der Erinnerung ein Störfaktor für die Rezipient*innen sein könnte. Und ob nicht beim Besuch von „realen“ Gedenkorten genauso Störfaktoren auftreten können. Was ist mit anderen Besucher-Gruppen, unpassenden Geräuschen und der Veränderungen durch Modernisierung der Orte? Ist die Erzählung eines Hologramms also für Interessierte nicht vielleicht genauso packend, wie die einer echten Person – zumal die echte Person nicht ewig leben wird?

Aura, Authentizität und naive Erwartungshaltungen

Auch das Konzept der „Aura“ schwebt durch den Zoom-Raum. Eine Idee von einem nicht greifbaren, nicht sichtbaren Faktor, den aber die physischen Gedenkorte wie automatisch an sich haben. Geht diese Aura bei digitaler Aufbereitung von Erinnerung verloren? Dr. Matthias Heyl von der Gedenkstätte Ravensbrück stellt ein PDF in den Chat. Es ist sein Aufsatz zu „Authentizität – Aura – Aspik“. Darin erteilt Heyl der „Suche nach der Aura“ eine ziemliche Abfuhr. Die Relevanz des Begriffes begreift er als eher auf die Kunst ausgerichtet: „Bei den KZ-Gedenkstätten handelt es sich aber eben nicht um Kunstwerke, sondern um Tatorte.“

Also sprechen wir passender von einem Wunsch nach „Authentizität“. Auch diese Erwartungen von Gedenkstätten-Besucher*innen und Rezipient*innen von Erinnerungskultur kann leider nicht immer nach ihren Vorstellungen erfüllt werden. Nicht einmal in der „realen“ Welt. Denn ohne „Durchdringung, Erschließung und Erzählung“ sei die Geschichtserzählung schlicht nicht möglich, resümiert Heyl.

Körperlichkeit - schwer zu ersetzen?

Der Körper fehlt in der Erfahrung von digitaler Erinnerung hingegen tatsächlich. In Schulprojekten mit Zeitzeug*innen helfen die jungen Leute den älteren oft auf ihren Sitzplatz. Sie bringen ein Wasser, helfen beim Aufstehen, dürfen auch zur Begrüßung mal die Hand schütteln. Wie die Covid-19-Kontaktbeschränkungen zeigen, gehört zum Erleben einer Person in ihrer Gänze eines: Der Körperkontakt.

MIREVI

 

Die MIREVI Reaserch Group der Hochschule Düsseldorf hat deswegen eine Spezialistin für Körper und Bewegung im Team. Welche Bedeutung haben Körper und die Beziehung zum Publikum? Dieser und anderen Fragen geht das Team in der Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen nach und hat so zuletzt mit dem WDR die App „Kriegskinder: 1933 – 1945“ entwickelt. Überlebende des Holocaust erzählen darin ihre Geschichten als Projektion im echten Raum. Mixed Reality.

 

Ernst Grube im volumetrischen Studio: Erfolgreich!

Einen ähnlichen Angang wählte das Volucap im Projekt „Ernst Grube – Das Vermächtnis“. Im volumetrischen Studio ist Ernst Grube bei seinen Erzählungen von 16 Kamerapaaren gleichzeitig aufgenommen worden. So entstand ein naturgetreues dreidimensionales Abbild seines Zeitzeugenberichtes. Der heute 87-Jährige wirkt nach dem Dreh entspannt und berichtet in einem kurzen Videoclip, er und sein junger Interviewpartner hätten den Tag erfolgreich hinter sich gebracht.

Die Teilnehmer*innen des Workshops sind beeindruckt ob der Präsentation des Volucap. Die Skepsis gilt dem recht nackt wirkenden Raum mit den vielen Kameras und ob die befragte Person sich darin wohlfühlen könne. Auch Fragen rund um Kosten und Nutzbarkeit einer volumetrischen Zeitzeug*innen-Aufzeichnung werden verhandelt. Dokumentarfilmer Dominik Wessely betont, wie wichtig die traumasensible Ansprache sei. Diese habe auch viel mit der eigenen Körperlichkeit, mit Intuition und Interaktion zu tun. Und Dr. Kurt Winkler regt an: „Gehört zu Zeitzeugenschaft nicht eine zeitliche Distanz?“ Ob diese hier verloren geht?

Realisierbare Utopien der Erinnerungsarbeit

Mit positivem Blick in die Zukunft, gerichtet auf die kleinen Utopien der Erinnerungsarbeit, startet der Workshop in den Nachmittag. Heißt: Best-Practice-Beispiele, Showcases zu kommenden Virtual-Reality-Vorhaben und gemeinsames Nachdenken im kleinen Kreis über die Zielgruppen, ihre Wünsche und Erreichbarkeit. „Mit VR ins Museum“, sagt der Filmemacher Sönke Kirchhof deutlich „das soll kein Ersatz sein, sondern die Zielgruppe unserer Projekte erweitern.“

Gedanken an Dis/abilty finden viel Zustimmung in der Runde. Alle sollen die gleiche Chance auf Partizipation haben. „Welche Ziele sind wichtig?“ und „Für wen denken wir?“, fragt Designer Moco Schiller in eine ähnliche Richtung. Und nach den vielen Stunden, in denen unterschiedliche Standpunkte Betonung finden durften, gibt es eine Einigkeit: Es soll nicht abgewartet werden, was sich im Kontext von Extended Reality und Erinnerungskultur durchsetzt. Stattdessen soll angepackt werden. Das SPUR.lab tut das. Es will eine Anlaufstelle sein, fasst Dr. Kurt Winkler, Direktor des Hauses der Brandenburg-Preußischen Geschichte (HBPG), zum Ende des Tages zusammen. Eine Anlaufstelle für Fragen, Diskurse und Vernetzung. Als solches werden hier in den kommenden Monaten drei Cases entwickelt werden. Prototypen der digitalen Vermittlung. Ob sich in diesen Cases einige Spuren der kreativen Workshop-Ideen nachvollziehen lassen werden? Ganz sicher.

Nele Posthausen ist freie Journalistin und Medientrainerin. Als solche hat sie für den WDR bereits verschiedene multimediale Arbeiten zum Gedenken des Holocaust umgesetzt und arbeitet in der historisch-politischen Bildung mit dem Bundesverband Information & Beratung für NS Verfolgte.

Die Veranstaltung „Immersion & Reflexion: XR in historischen Museen und Gedenkstätten“ fand am 16.11.2020 im Rahmen der jährlichen SPUR.lab Workshops statt. Sie war eine Kooperation von SPUR.lab mit dem Regional STARTS Center Germany. Die Dokumentation der Veranstaltung kann hier angefragt werden.

fotocredit: © Jonas Walter 

© Brandenburgische Gesellschaft für Kultur und Geschichte gemeinnützige GmbH

Gefördert im Programm

Logo Kulturstiftung des Bundes

Gefördert von

Logo Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien