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Gestaltungsräume virtueller Realitäten

Die stetig wachsende Notwendigkeit, Wissen digital aufzubereiten, führt zu dem Bedürfnis, vielseitige mehrdimensionale Visualisierungs-, Auralisierungs- und Interaktionsmethoden zu entwickeln. Die Zielsetzung im Projekt SPUR.lab, neue Erzählformen für die Geschichte des Nationalsozialismus in Brandenburg zu entwickeln, erfordert von Filmemachern, Medienschaffenden und Künstlern nach neuartigen, anwendungsorientierten narrativen Formen zu forschen.

Virtuelle Realitäten simulieren einen Ausschnitt von Orten, Gegenständen, Lebewesen und Situationen in einem begrenzten Zeithorizont, indem digitale Informationen auf reale Objekte überlagert werden (Augmented Realiy) oder eine virtuelle Welt komplett nachgebildet oder neu erstellt wird (Virtual Reality). Somit bietet die neue Methode der virtuellen Nachbildung und Anreicherung für die Gestaltung spezifischer Inhalte eine Vielzahl von Möglichkeiten, die weit über die Gestaltungsoptionen rein physischer, aber auch rein filmischer Räume hinausgeht. Der Raum und seine Objekte können unmittelbar in die Präsentation einbezogen werden und als eigener Informations- und Wissensvermittler dienen. Wie aber können in Museen und Gedenkstätten, insbesondere KZ-Gedenkstätten, mit Hilfe von virtueller Realität Zeit, Raum, Historie und menschliche Schicksale progressiv erlebbar gemacht werden?

Ein Schlüssel, immersive historische Wissens- und Erlebnisräume in der virtuellen Realität zu gestalten, liegt darin, Informationen mit Mitteln gezielter Narration anzureichern. Dies ist jedoch nicht einfach. Elektronische Medien und Printmedien haben die Rezeption der NS-Zeit auch für nachfolgende Generationen bereits tief geprägt.

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Auch Filme haben eine verdichtete Aussage zu dem gewählten Thema und stehen selten omnitemporal zum Zeitgeschehen der Storyline. Spielfilme wie z.B. „Schindlers Liste“, „Inglourious Basterds, „Das Leben ist schön“, „Die Blechtrommel“ oder „Roman eines Schicksallosen“, haben sich bereits auf eine sehr intensive Weise dem Thema NS-Zeit genähert und einige Stereotypen aufgebrochen. Welche Wirkung können nun die neuen mehrdimensionalen Medien wie Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) entfalten, die NS-Zeit und das KZ-Lagergeschehen in einer erweiterten (virtuellen) Perspektive verständlich zu machen?

 

Wie also kann ausgerechnet das Storytelling in den neuen Formaten Augmented und Virtual Reality die Karten neu mischen und einen unentdeckten Mehrwert schaffen? Im Projekt SPUR.lab soll darauf eine Antwort nicht von Medienschaffenden allein gefunden werden, sondern erstmals sollen kreative Expert*innen der Filmuniversität Babelsberg gemeinsam mit Fachleuten aus Kultur, Geschichte, Bildung, Museologie und Archiv auf Augenhöhe ein Format für VR/AR erarbeiten und neue Methoden der Narration entdecken. Ob das Format eher einem Game, einem Film oder einer Graphik Novel o.a. entspricht, wird sich zeigen. Sicher gestellt ist, dass die zentrale Quelle für die Narration Berichte von Augenzeugen, von Überlebenden und von Betroffenen, sowie Archiv- und Dokumentationsmaterial sein werden. Deren explizites und implizites Wissen intensiv zu begreifen, ist das Ziel der neuen Erzählform.

Technologie trifft auf Inhalte

Technische Möglichkeiten sollen trotz ihrer vielfältigen Werkzeuge in den Hintergrund treten, um den dokumentarischen Erfahrungsschatz so unmittelbar wie möglich senden zu können. Der Rezipient hingegen wird ein aktives Gegenüber. Während im Medium Film ausgewählte Perspektiven einer zeitlich vorgegebenen Struktur folgen, ist der User im mehrdimensionalen Raum der Schnittmeister. Er bestimmt den Sichtwinkel und die Dauer der Ereignisse und er entscheidet über die kausal-chronologische Ereigniskette. Die Kausalität besteht nunmehr zwischen Räumen, Objekten und Personen. Die immersive site specific (ortsspezifische) Geometrie eines Museums oder einer Gedenkstätte wird in diesem Zusammenhang vom User selbst inszeniert. Er agiert eigenständig und wird zum Forschenden. 

Die Anwendung neuer Technologien wie Virtual Reality werfen für das Erzählen und Bewahren von Erinnerungen viele Fragen auf, z.B.:

Gedenkstaette-ravensbrueck-collage

Wie spielt Virtuelles und Reales zusammen? Wie werden die Wahrnehmung und das Verständnis von Informationen verändert? Wie können wir diese neuen Technologien verantwortungsvoll einsetzen? Und wie wird Geschichte in Zukunft geschrieben? Werden vermehrt Bürger*innen Geschichte erzählen und mit Hilfe von Citizen Science, eine Praxis bei der Laien zu bestimmten Fragestellungen aktiv recherchieren und Inhalte beitragen, eine neue Plattform schaffen? Wie kann mit all diesen neuen Wegen sichergestellt werden, dass Inhalte nicht überladen, instrumentalisiert oder verfälscht werden?

Eine Geschichte mit Zukunft

Im Mittelpunkt des Projektes SPUR.lab steht nicht ausschließlich die Aufgabe, geschichtliche Inhalte mit neuen virtuellen Mitteln anzureichern und sie lebendig und interaktiv zu gestalten. Der Wandel zu einer digitalen Erinnerungskultur birgt die umfassende Anforderung in sich, etablierte und konventionelle Methoden zu überdenken. Zum Beispiel steht die Art, Geschichte zu erzählen, schon seit längerer Zeit im kritischen Diskurs der Wissenschaft. Etablierte narrative Techniken dürfen sich dieser Kritik auch mit den neuen technologischen Möglichkeiten nicht entziehen. Im Gegenteil. Das Ziel, den Rezipienten zu einem Forschenden zu machen, der interagieren kann, bedarf einer Gestaltung, die weitläufige Perspektiven sowohl für den Raum, als auch für das Zeitgeschehen eröffnet. Virtuelle Inhalte in Museen und Gedenkstätten dürfen keine temporäre Spielerei werden, sondern sollen auch langfristig dazu beitragen, Stück für Stück einen stetig wachsenden Wissens-, Erfahrungs- und Erlebnisraum zu schaffen, der progressiv erlebbar wird, und auch für zukünftige Zeiten dem Anspruch Stand hält, die Historie immer wieder auf eine neuartige Weise hinterfragen zu können.

© Virtual History Filmuniversität Babelsberg 2020

Beate Hetényi ist heute die technologische Expertin im Projekt SPUR.lab. Für die Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF entwickelte sie das Virtual History Projekt.

Das Projekt “Virtual History” will am Beispiel des antiken Forum Romanum in Rom zeigen, wie eine digitale Aufbereitung aktueller Forschungsergebnisse im Medium VR völlig neue sinnlich-intellektuelle Erfahrungen ermöglicht. Dadurch eröffnet sich erstmalig die Möglichkeit, Geschichte “real” zu erleben und selbst mit dem Gesehenen und Gehörten zu interagieren. Die geplante Rekonstruktion dieser antiken Platzanlage versteht sich im doppelten Sinne als Pilotprojekt: für die Zukunft virtueller und immersiver Bildwelten und für einen neuen, zugleich erlebnisorientierten Umgang mit Wissenschaft.  (photocredit: © Virtual History Filmuniversität Babelsberg 2020) 

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