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ZEITSCHICHTEN – VISUELLE ENTSCHLÜSSELUNG EINES HISTORISCHEN ORTES

Der Prototyp ZEITSCHICHTEN, als ein Zusammenspiel von historischem Ort und virtuellem Raum, zeigt kurzweilig und visuell die komplexe Geschichte einer KZ Gedenkstätte. Orientiert an den Bedarfen der Besuchenden und den Vermittlungszielen der Gedenkstätten, werden die Phasen des Aufbaus, der Umnutzung, des Verfall und Umbaus des Geländes von 1936 bis heute rekonstruiert. Zeichnerisch und überblickshaft legt sich eine Augmented Reality-Schicht über das Gedenkstättengelände, verschwindet wieder und lässt so den historischen Ort neu und entschlüsselt wirken.

Gedenkstätte Sachsenhausen, foto: Swantje Bahnsen

Was viele Besucher:innen von KZ Gedenkstätten verbindet ist, dass sie sich der Vergangenheit annähern, sie sich vorstellbar machen wollen. Vor Ort sehen sie sich mit der oft unkommentierten Leere des Geländes konfrontiert. Nur wenige historische Anhaltspunkte helfen beim Verständnis des historischen Ortes und die Gestaltung der Gelände bricht mit der Annahme, ein in der Zeit konserviertes Konzentrationslager vorzufinden. Es liegen Jahrzehnte und vor allem unterschiedlichste Umnutzungen des Geländes zwischen dem damaligen Lager und dem Jetzt.

 

Diese bedeutungsvolle Leere gilt es zu füllen, da sich hier vergangene Jahrzehnte und geschichtliche Entwicklungen kristallisieren. Es sind vor allem die historischen Orte, die eine Verbindung zwischen dem Heute und dem Vergangenen schaffen können sollen.

GESCHICHTE ALS PROZESS VERBILDLICHEN

ZEITSCHICHTEN setzt pragmatisch und bedürfnisorientiert an den Besucher:innen einerseits und dem pädagogischen Auftrag der Gedenkstätten andererseits an, schlägt eine visuelle Brücke zwischen Erlebniserwartung und der vielschichtigen Geschichte des historischen Ortes.

Am Beispiel der Gedenkstätte Sachsenhausen bedeutet dies, dass Besucher:innen sich kurz nach Betreten des ehemaligen Lagergeländes auf Handys oder Tablets ZEITSCHICHTEN ansehen können. Während sie auf dem ehemaligen Appellplatz stehen, um den herum nur zwei der damaligen Baracken rekonstruiert wurden, können sie dabei zuschauen wie sich skizzenhafte Zeichnungen über das heutige Gelände legen, wie das Konzentrationslager ab 1936 entstand und sich das Gelände bis heute wandelte. So wird deutlich, dass während der NS-Zeit Um- und Ausbauten stattfanden, es also in nahezu jedem Jahr einen anderen baulichen Zustand gab. Und auch nach dem Kriegsende wurde das Gelände genutzt als Sowjetisches Speziallager, Baracken wurden abgebaut oder verfielen. Auch die erheblichen baulichen Umformungen, die im Zuge des Umbaus des Geländes zu einer der Nationalen Mahn- und Gedenkstätten der DDR entstanden, werden sichtbar. Die Augmented Reality Anwendung verdeutlicht so, mit dem Blick ins Gelände, wie sich die Nutzungen und auch unterschiedliche Formen der Gedenkkulturen eingeschrieben haben. Die einzelnen Schichten lassen sich danach besser freilegen und geben den Besuchenden somit ein Tool an die Hand um sich dem Gelände einfach zu nähern und es besser entschlüsseln zu können.  

Anwendung & Aussicht

Die Visualisierungen in der Anwendung sind angelehnt an Zeichnungen/Grapic Novels, da es sich nicht um eine detailgenaue virtuelle Rekonstruktion des ehemaligen Lagers handeln soll. Vielmehr soll ein Eindruck entstehen, vom Ausmaß und vor allem den Umbrüchen. Grundlage für die Visualisierung sind historische Fotos des Lagergeländes zu unterschiedlichen Jahren und weitere baugeschichtliche Quellen. Der Fokus der virtuellen Rekonstruktionen liegt dabei auf dem Entwickeln einer eigenständigen Bildsprache und nicht baulicher Detailliertheit, um sich von den erhaltenen Fotos des Lagers zu lösen und nicht den  Blick der NS-Propaganda zu reproduzieren.

Nach einem visuellen Überblick können die Besuchenden sich einzelne Jahre der Lagergeschichte auswählen und vertiefende Informationen erhalten.

Dadurch lässt sich anhand der baulichen Veränderungen und Erweiterungen exemplarisch und im Lokalen die Geschichte des Nationalsozialismus und internationaler politischer Entwicklung in Verbindung setzen – die Erweiterung des Häftlingslagers durch das sogenannte kleine Lager in Vorbereitung auf ausgeweitete Unterdrückung der Zivilbevölkerung, die Novemberpogrome und den bevorstehenden Krieg; der Ausbau des medizinischen Komplexes als Reaktion auf die zunehmend schlechte Versorgungslage und intensivierte Ausbeutung durch Arbeit, um nur zwei Beispiele zu nennen. Phasen der NS Zeit, aber auch Wechsel politischer Systeme lassen sich so Schicht für Schicht auf dem Gelände freilegen.

 

Die Anwendung ZEITSCHICHTEN soll also überblicksartig und visuell eine Antwort geben auf Fragen, die Besuchende mit auf das Gelände mitbringen und durch die Parallelen in der Gestaltung der KZ Gedenkstätten in Deutschland könnte sie vielseitig auch in anderen Institutionen an historischen Orten eingesetzt werden.

Swantje Bahnsen ist die Projektkoordinatorin im Projekt für die beiden Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen. Ihre Arbeit direkt vor Ort in den Gedenkstätten und der Austausch mit Besuchenden prägten den Prototyp ZEITSCHICHTEN.

Julius Michel unterstützt das SPUR.lab als studentische Hilfskraft und angehender Historiker. Er hat sich für den Prototyp ZEITSCHICHTEN in die Fotobestände und baulichen Quellen der Gedenkstätten vertieft, welche die Grundlage des Prototypen bilden. 

Beate Hetényi ist technologische Expertin im SPUR.lab. Für die Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF entwickelte sie das Virtual History Projekt. Ihre aktuellen Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte liegen in der Entwicklung von Virtual und Augmented Reality Projekten.

foto: Swantje Bahnsen

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